Ich begreife Fotografie als eine Form der Feldforschung: Jede Aufnahme ist eine Versuchsanordnung, in der Licht, Zeit und Raum miteinander verhandeln, um eine zuvor unsichtbare Ordnung offenzulegen. Meine Kamera dient dabei weniger als dokumentarisches Instrument denn als seismografisches Werkzeug, das feine Erschütterungen zwischen Landschaft, Architektur und menschlicher Präsenz registriert.

Mich interessiert das fragile Gleichgewicht zwischen Dauer und Wandel. Langzeitbelichtungen und Infrarottechnik eröffnen mir ein erweitertes Spektrum des Sehens; sie verlangsamen die Welt bis an den Rand der Stille oder lassen Strukturen hervortreten, die dem bloßen Auge entgehen. In diesen Momenten wird deutlich, dass Wahrnehmung nie neutral ist, sondern stets von Erinnerung, Erwartung und kulturgeschichtlichem Wissen gerahmt wird.

Die so entstehenden Bilder sind keine endgültigen Antworten, sondern gedankliche Räume. Ich verstehe sie als Einladung, die eigene Position zu hinterfragen – ähnlich einer philosophischen Übung, in der der Betrachtende zum Mitforschenden wird. Dabei spielt die Materialität des Werks eine zentrale Rolle: Museumsqualitäts-Prints, großformatige Installationen und blockchain-basierte Zertifikate bilden ein zusammenhängendes Ökosystem. Sie stellen die Frage, wie sich Originalität, Autorschaft und Aura im 21. Jahrhundert neu definieren lassen.

Theoretisch nähere ich mich diesem Komplex aus zwei Richtungen: Einerseits knüpfe ich an phänomenologische Ansätze an, die Wahrnehmung als aktive Konstruktion verstehen. Andererseits schöpfe ich aus stoischen Gedanken über Selbstdisziplin und Gelassenheit – Tugenden, die in der Langzeitbelichtung ebenso gefragt sind wie im künstlerischen Prozess insgesamt.

So entsteht ein Werk, das sich bewusst zwischen Technik und Kontemplation positioniert: präzise in der Ausführung, offen in der Bedeutungsschicht. Es fordert dazu auf, das Sichtbare als flüchtige Oberfläche zu begreifen, unter der sich tiefere rhythmische Strukturen verbergen. Wer sich darauf einlässt, begegnet keinem festen Narrativ, sondern einem resonanten Feld, in dem Natur, Erinnerung und Technologie in Dialog treten – und in dem jede Betrachtung zur erneuten Fragestellung wird.

Porträt einer Person mit digitaler Verzerrung, erhebliche Unschärfe, sitzend gegen eine weiße Wand